
Der unsichtbare Gast
Die Geschichte vom Maulwurf und der Taube
Eine Taube flog eines Tages in einen Wald. Da sie müde war, wollte sie eine Pause machen. Sie setzte zur Landung nahe einem Bache an. Viele Tiere hatten sich dort versammelt, weil ihnen Maulwurf
Willi Sorgen bereitete. Maulwurf Willi war schon alt und hatte vor einigen Jahren seine geliebte
Frau verloren. Seit diesem dramatischen Ereignis erzählte Willi den Waldtieren keine Geschichten
mehr und war verbittert. Die Waldtiere beschlossen an einer Versammlung, Willi abwechslungsweise zu besuchen. Sie versuchten den alten Maulwurf abzulenken, sie gingen mit ihm auf Wanderschaft oder kamen zu einer Tasse Kaffee vorbei. Kaum jemand bemerkte, dass die Traurigkeit bei Willi zu Besuch war. Die Traurigkeit, eine durchsichtige und formlose Gestalt, lief wie ein Schatten hinter Willi her. Die Waldtiere merkten, dass die Besuche nicht den gewünschten Effekt zeigten. Plötzlich kam die
Taube zu einer Versammlung der Waldtiere und schlug vor, dass sie Willi besuche.
Am nächsten Tag, als die Sonne aufging, machte sich die Taube auf den Weg zu Willi. Sie merkte,
dass die Traurigkeit bei Willi zu Besuch war und sprach die Traurigkeit direkt an: «Wieso bist du
noch bei Willi zu Besuch?» Die Traurigkeit antwortete: «Es ist meine Aufgabe, jedes Tier und jeden Menschen für eine Weile zu besuchen. Doch viele hassen mich wie die Pest und versuchen mich zu ignorieren. Dies funktionier t nur für eine gewisse Zeit. Ich will doch nur helfen. Wer alle ungeweinten Tränen weint und mich als Besuch zulässt, kann die tiefen Wunden verschliessen. Ist
dies geschehen, verabschiede ich mich. „Nachdem die Taube mit der Traurigkeit gesprochen
hatte und Willi die Situation erklärte, verstand dieser. Die Taube verabschiedete sich und versprach
noch einmal zu Besuch zu kommen.
Willi liess nun die Trauer zu. Bevor sich die Traurigkeit verabschiedete, kam die Taube nochmals vorbei.
Die Traurigkeit fragte: «Wer bist du?» Die Taube antwortete darauf: «Ich bin die Hoffnung!»
Die Traurigkeit bedankte sich für die Unterstützung der Hoffnung und beide verabschiedeten
sich nun vom Maulwurf. Einige Tage nachdem ihn die Traurigkeit verlassen hatte, erzählte
Willi den Waldtieren wieder Geschichten.
Die allererste Geschichte handelte von einem Maulwurf oder einer Taube.
«Wer bist du?» Die Taube antwortete darauf: «Ich bin die Hoffnung!»
Verfasser Nadia Zurbriggen